Kunsu Shim ist Komponist und Performance-Künstler, außerdem als Photo- und Installationskünstler aktiv. In seiner Klangsprache verschmelzen Ideen von Gegensätzlichkeiten wie Chaos und Ordnung, Zufall und Kausalität, Schreiten und Verweilen, Fortlaufen und Unterbrechung, Glattes und Raues, Ich und Du (WIR). Shim versteht seine Arbeit als eine Kontemplation des Außen, ohne Mystik. Seine Performances in der Tradition des Fluxus streben danach, die Sichtbarkeit der Dinge zu zerstören und sie damit unfassbar zu machen.
Kunsu Shim wurde am 15. September 1958 im südkoreanischen Busan geboren, als Sohn koreanischer Remigranten aus Japan. Bereits mit 18 und 19 Jahren gewann er jeweils den 1. Preis in einem Wettbewerb für junge Komponisten in Busan. Während des Kompositionsstudiums an der Yonsei Universität Seoul (1979-83, u.a. bei Inyong La) machte er mit dem Dong-A Ilbo Newspaper Prize (1982) und dem Joong-Ang Ilbo Newspaper Prize (1983) in seiner Heimat auf sich aufmerksam. Ab 1987 studierte er bei Helmut Lachenmann in Stuttgart und wechselte 1989 an die Folkwang Hochschule Essen zu Nicolaus A. Huber, bei dem er 1992 sein Kompositionsstudium abschloss. Auf Anregung Hubers machte sich Shim mit den verschiedensten aktuellen Strömungen in der Musik, insbesondere aus den USA, vertraut und komponierte sein erstes Orchesterwerk orchester in stereo mit fünf sinustönen (1990), das sich eine Musik ohne subjektiven Ausdruck zum Ziel setzt. Das Ensemblestück for violins and players, im Anschluss an orchester in stereo geschrieben, erhielt 1992 den Kompositionspreis beim Forum junger Komponisten des WDR. Weitere Auszeichnungen der folgenden Jahre umfassten Einladungen als Artist in Residence nach Djerassi/Kalifornien (1993), Akiyodashi/Japan (1994), zur Ragdale Foundation/Illinois (1995), nach Schreyahn/Niedersachen (1996-97) und an das Museum of Contemporary Arts/Chicago (1998) sowie ein Stipendium der Akademie der Künste Berlin (1998).
Zu den bedeutenden Kompositionsaufträgen, die in jüngerer Zeit an Kunsu Shim ergingen, zählen die Orchesterstücke ATEMWENDE – Stille (2007) und STEINSCHLAG·ZEIT (2008), AFTER A HUNDRED YEARS für Sopran und Orchester im Auftrag der Essener Philharmonie (2011) sowie die großen a cappella-Chorwerke HIER·SEIN und Here to me (2012). 2014 und 2016 erfolgten Uraufführungen des Orchesterwerks AND HERE AGAIN – eine Perlenlandschaft durch die Würzburger Philharmoniker sowie von WOLKEN, BLINDENSCHRIFT für Sopran, Vokalensemble und Orchester im Kiliansdom zu Würzburg. 2017 schrieb Kunsu Shim für das norwegische Ensemble Bit20 DAS FEINE, DAS FLÜCHTIGE. Im Auftrag der Kunststiftung NRW entstanden die Ensemblewerke leise, frei (2018) und KLEINES, FERNES (2022), das Streichquartett luft.inneres (2019) sowie zum Jubiläumsjahr Beethoven2020 das Orchesterwerk VON HIER FORT? – Ein Intermezzo zu Beethovens Sinfonie Nr. 7 und die Performance mit Beethoven-Sinfonien für mehrere Plattenspieler …ÖFFNETE PLÖTZLICH DIE AUGEN, uraufgeführt im Rahmen der Muziek Biennale Niederrhein 2021. Seit Das Andere, Inneres für Klavier(e) mit Tastenspieler und Saitenspieler von 2019 entwickelt Shim grundlegend neue Möglichkeiten der Klavierkomposition. 2023 spielte das Luna Quartett die Uraufführung seines Streichquartetts so seidig, so subtil beim OPENING Festival Trier. Außerdem widmete ihm der EarPort Duisburg ein Portraitkonzert zum 65. Geburtstag.
Kunsu Shims Wirken als Foto- und Installationskünstler ist inzwischen auch durch Einzelausstellungen u.a. in Kassel (2021), im Kunstverein Trier (Sommer 2024, ergänzt durch ein Portraitkonzert in der Hochschule Trier) sowie beim Ausstellungsprojekt IM KINOSAAL der Kunsthalle Düsseldorf im Frühjahr 2025 dokumentiert. Überhaupt hat sich das Jahr 2025 für Shim als besonders produktiv erwiesen: Mit den Neukompositionen QUASI NIENTE für Streichquartett, DAS UNSTILLBARE I und II für Streicher, WENN EIN GLÜCKLICHES FÄLLT für Cello solo und einem neuen Werk für Viola solo wird Kunsu Shim durch diese Uraufführungen einen starken Akzent im Programm des EarPort 2026 setzen.
EarPort Duisburg und internationale Tätigkeit
Prägend ist seit den 1990er Jahren die Zusammenarbeit mit dem deutschen Komponisten Gerhard Stäbler. Ab 1992 beteiligte sich Kunsu Shim als Mit-Organisator im Projekt AKTIVE MUSIK im Ruhrgebiet, das von Stäbler und Igor Popovich initiiert worden war. 2000 realisierte er auf Einladung des Goethe-Instituts gemeinsam mit Stäbler das Musiktheater-Projekt futuressencexxx am New Langton Arts Theatre in San Francisco, das in Folge in Duisburg, Essen (2001), Seoul (2003) und Olympia/Washington (2004) nochmals umgesetzt wurde. Mit der Komponistengruppe wandelweiser, der Shim von 1994 bis 2000 angehörte, verbanden ihn zunächst zwar gemeinsame Grundorientierungen wie Stille und Einfachheit. Durch die intensive Zusammenarbeit mit Stäbler im EarPort, den die beiden Komponisten und Lebenspartner auf Einladung des Lehmbruck Museums im Duisburger Innenhafen von 2000 bis 2010 als Ort für Neue Musik und Begegnung zwischen den Künsten etablierten, bewegten sich Shims Sichtweisen und Aktivitäten jedoch in eine andere Richtung – insbesondere in Bezug auf die gesellschaftliche Rolle der Künste.
In den Programmen des EarPort entwickelten Kunsu Shim und Gerhard Stäbler das Konzept der PerformanceMusik, das auf der Grundlage historischer Kunstströmungen wie Dada, Futurismus oder Fluxus nach einer Durchdringung von Musik, Visualität und Aktion strebt und die Grenzen zwischen Zuschauen/Zuhören und Agieren durchlässig macht. Shims eigene Performances, deren Spielanweisungen er seitdem detailliert niederschreibt und in sein Werkverzeichnis aufnimmt, sind ein entscheidender und originärer Bestandteil dieser Kunstform. Mit seinen fotografischen Arbeiten und Installationen prägt Shim zudem bis heute nicht nur das visuelle Erscheinungsbild des EarPort, sondern hat „inzwischen auch als Installations- und Fotokünstler ein authentisches und originelles Werk entwickelt“ (C. Brockhaus, 2022).
Im Oktober 2015 konnte der EarPort als als „Ort experimenteller Begegnung zwischen den Künsten“ wiedereröffnet werden. Seitdem realisieren Shim und Stäbler zahlreiche Konzepte in nachhaltiger Kooperation mit Partnern aus der Region wie Kunsthalle Düsseldorf, K20 Düsseldorf (Kunstsammlung NRW), DIE GROSSE Kunstausstellung NRW (Kunstpalast Düsseldorf), NRW-Forum Düsseldorf, Tonhalle Düsseldorf, Schloss Benrath, Muziek Biennale Niederrhein, Schlosstheater Moers, Essener Forum für Kunst und Architektur, Kunstlabor Essen, Philharmonie Essen, Musikbibliothek Essen, aber auch nationalen und internationalen Partnern wie Diözese Würzburg, OPENING Festival Trier, Bergen Festival, Borealis Festival, LONDON EAR Festival, MusikTheaterLabor der Bruckner Privatuniversität Linz, Creative Performance Lab des Conservatorium van Amsterdam u.v.a. In der „Pandemie-Saison“ 2020/21 setzten Shim & Stäbler große Projekte wie TIEFEN·SCHÄRFE – zwei Performance-Konzerte im Rahmen der Muziek Biennale Niederrhein – oder die Konzertserie Quadrophonien in Kollaboration mit Komponisten aus der Ukraine, Großbritannien und Südkorea digital um.
Regelmäßige Gastspielreisen als Komponisten, PerformanceKünstler und Dozenten führen Shim und Stäbler nach Japan, Korea, Norwegen, Portugal, Großbritannien sowie in die Niederlande, die Türkei, die USA (2018 an die Universitäten von North Texas/Denton, Chicago und Northwestern/Evanston) sowie nach Südamerika (2022 als Gastprofessoren an die Fakultät der Künste der Universidad de la República de Uruguay in Montevideo). Aus dem Aufenthalt als Artists-in-Residence an der Künstlerresidenz GALATA der Kunststiftung NRW in Istanbul 2022/23 haben sich enge künstlerische Beziehungen zum Museum ARTER, zu mehreren Istanbuler Universitäten und zum renommierten HEZARFEN Ensemble entwickelt. Eine kontinuierliche Arbeitsbeziehung verbindet Shim und Stäbler zudem mit dem Ensemble Grupo de Música Contemporânea de Lisboa, was 2023 und 2024 zu Einladungen beim Festival de Música Contemporânea de Lisboa und beim VI. Internationalen Kompositionswettbewerb GMCL/Jorge Peixinho, Gastspielreisen nach Portugal und im künstlerischen Austausch weiteren Konzerten in Weimar, auf den Azoren und in Duisburg (mit einer von MKW und Kunststiftung NRW geförderten DVD-Aufnahme) führte.
Höhepunkte des Jahres 2025 umfassen die Einladung zum Neujahrskonzert von AuditivVokal Dresden in das dortige Leonhardi-Museum, Workshops und Performance-Konzerte in Istanbul (ARTER Museum, Mimar Sinan Fine Arts University und Österreichisches Kulturforum), die Mitwirkung im Ausstellungsprojekt IM KINOSAAL der Kunsthalle Düsseldorf sowie im November eine Gastspielreise zu Konzerten und Workshops im Rahmen von TRIALOG in Seoul/Korea.
Publikationen
2018 erschien mit leise, frei. der komponist kunsu shim die erste umfassende Publikation über den Komponisten. Der Sammelband DAZWISCHEN. Die Zusammenarbeit der Komponisten Kunsu Shim und Gerhard Stäbler von 2022 enthält aktuelle wissenschaftliche Beiträge zu Shims Schaffen sowie eine CD mit Klavier- und Kammermusikwerken der beiden Komponisten. 2022 erschienen zudem die Portrait-CD luft.inneres mit dem Luna String Quartet bei dem renommierten britischen Label anothertimbre.com sowie die CD Piano Music by Gerhard Stäbler | Kunsu Shim mit dem Pianisten Martin Tchiba. 2023 konnte das Konzertprojekt Musik der (Un)Ruhe/Music of (Dis)Quiet, das vom Buch der Unruhe des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa inspiriert ist, auf DVD veröffentlicht werden. Aktuelle CDs in der Edition EarPort umfassen die Portrait-CD Kunsu Shim: Kammermusik sowie den Live-Mitschnitt des kooperativen Konzepts MAGISCHE SPIELE mit drei Intermezzi von Kunsu Shim.
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